Wie verhalten wir uns im Jahr 2021 in Deutschland anständig? Gerade auch HR nimmt sich dieser Frage emsig an. Das Thema Diskriminierung aller möglichen Menschen ist überall zu finden und so gut wie jeder relevante HR-Blog gendert mittlerweile wie von Zauberhand gesteuert. Ich habe mittlerweile das Gefühl, mich als reaktionär zu positionieren, wenn ich es nicht tue. 

Ich frage mich, wer hier eigentlich wann diesen und andere Schalter umgelegt hat. Ich frage mich, warum uns kaum greifbare Kräfte mit moralischer Strenge und häufig mit erstaunlich offener Intoleranz ausgerechnet Toleranz predigen. Soll ich mir nun ein Wohlverhalten antrainieren, damit ich nicht auffalle? Genügt es, wenn ich im Bioladen nachhaltig einkaufe, mein Auto mit Verbrennungsmotor abschaffe, die Tweets von Annalena Baerbock like und fortan konsequent das generische Maskulinum in meinem sprachlichen Ausdruck ablehne? Wie wäre es zusätzlich mit einer Regenbogenbinde, regelmäßigen Sprüchen gegen Klimaleugner und lauten Bekenntnissen zu Diversity? Bin ich dann endlich ein guter Mensch? Oder brauche ich ein Zertifikat? 

Ich bin konservativ, für mich zählte immer schon der einzelne Mensch. Noch nie waren für mich Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexuelle Orientierung Beurteilungskriterien. Ich fand es immer wichtig, ob mir ein Mensch mit offenen Herzen und Empathie gegenübertritt. Mich hat es immer schon berührt, wenn Menschen solidarisch und zuverlässig waren. Und das ist heute immer noch so. Doch werde ich den Verdacht nicht los, genau diese Grundhaltung inzwischen durch meinen sprachlichen Ausdruck und andere moralisch vorgeschriebene Verhaltensregeln nachweisen zu müssen. 

Ich wünsche mir schlicht und ergreifend mehr Entspannung. Mehr Miteinander und weniger Gegeneinander. Mehr Debatte und weniger Etikette. Ich finde, unser Land wird tatsächlich nicht toleranter, sondern autoritärer. Wenn das Aufzwängen angeblicher Toleranz zur Regel wird, mangelt es an Demut. Und es fehlt insbesondere ein wichtiger Grundsatz friedlichen menschlichen Miteinanders: das Kehren vor der eigenen Haustüre – und nur dort. Wenn wir das alle befolgen, wird diese Welt auch ohne Moral- und Sprachpolizei ein besserer Ort. 

Markus Matt